RISIKOORIENTIERTE RAUMPLANUNG

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RISIKOORIENTIERTE RAUMPLANUNG DURCH GEFAHRENANGEPASSTE BAUWEISEN
Die Arbeit zum Thema „Risikoorientierte Raumplanung“ hat es zum Ziel, diesen Begriff zu konkretisieren, indem vor allem Ansatzpunkte auf örtlicher Planungsebene für die Festlegung von Maßnahmen des Objektschutzes gegen Hochwasser, Lawinen und gravitative Naturgefahren und deren Umsetzungsmöglichkeiten in der Raumplanung sowie im Baurecht aufgezeigt und diskutiert werden. 

Versteht man den Begriff Risiko als Produkt der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Naturgefahrenereignisses und der Vulnerabilität der vorhandenen Risikoelemente, so wird klar, dass man zusätzlich zur Eintrittswahrscheinlichkeit und Intensität einer Gefährdung auch die Schadensanfälligkeit der Objekte bei Planungsmaßnahmen berücksichtigen sollte. Durch eine Festlegung von Objektschutzmaßnahmen in Raumplanungsinstrumenten kann die jeweilige Nutzung an die Gefahrensituation angepasst und damit das Risiko auf ein akzeptables Niveau reduziert werden.

Auf Basis einer Literaturrecherche über die Möglichkeiten der baulichen Anpassung bei Naturgefahren, einer Dokumentenanalyse der Raumordnungs- und Baugesetze in den ausgewählten Bundesländern Niederösterreich, Oberösterreich, Tirol und Steiermark sowie durch leitfadengestützte ExpertInneninterviews werden die Möglichkeiten untersucht, Objektschutzmaßnahmen bereits auf Ebene der Flächenwidmungsplanung und in der Bebauungsplanung zu berücksichtigen. Eine risikoorientierte Raumplanung soll allerdings nicht zur Baulandentwicklung in gefährdeten Bereichen führen, vielmehr erscheint sie besonders in jenen gefährdeten Bereichen sinnvoll, in denen eine Baulandentwicklung nicht ausgeschlossen ist, wie unter anderem in gelben Gefahrenzonen und Restrisikobereichen. Nach aktueller Rechtslage bestehen in den meisten Bundesländern bereits Möglichkeiten eine risikoorientierte Raumplanung durch die Festlegung von gefahrenangepassten Bauweisen mit den Instrumenten der Raumplanung zu forcieren.

Rechtliche Grundlagen der Naturgefahrengesetzgebung in Österreich

Der Schutz vor Naturgefahren ist ein wesentliches Anliegen der Raumplanung und des Baurechts in Österreich. Die Analyse der rechtlichen Grundlagen mit Fokus auf die naturgefahrenrelevanten Bestimmungen in den ausgewählten Bundesländern zeigt, dass Naturgefahren in der überörtlichen Raumplanung kaum vorkommen, in der örtlichen Raumplanung jedoch sehr umfangreiche und unterschiedliche Regelungen in Bezug auf Nutzungsbeschränkungen und -verbote aufgrund von Naturgefahren bestehen (1). Vor allem dem Instrument der Flächenwidmungsplanung kommt diesbezüglich große Bedeutung zu. Generell sind im Flächenwidmungsplan durch Naturgefahren bedrohte Bereiche ersichtlich zu machen. Die Neuausweisung von Bauland ist in Gefahrenzonen (mit Ausnahmen) nicht zulässig – wobei sich die Definition der gefährdeten Bereiche länderspezifisch unterscheidet. Trotz zum Teil sehr strikter Bestimmungen in Bezug auf Bauland in Gefahrenzonen, gibt es in allen untersuchten Bundesländern Ausnahmeregelungen, die Baulandwidmungen auch in gefährdeten Bereichen ermöglichen. So ist in einigen Bundesländern aufgrund der Gesetzeslage eine Baulandwidmung auch in der gelben Gefahrenzone möglich.

Kommt es zu Bauführungen in gefährdeten Bereichen, so können Auflagen zur Risikoreduktion im Bauverfahren angeordnet werden. Naturgefahrenrelevante Festlegungen im Bebauungsplan sind aktuell noch eher selten. Auch in Anbetracht des möglichen Versagens von Schutzeinrichtungen sowie möglicher Unsicherheiten in der Gefahrenbeurteilung, vor allem im Zusammenhang mit künftig wahrscheinlichen klimawandelbedingten Häufungen von Extremwetterereignissen (2), sind auch Restrisikobereiche nicht außer Acht zu lassen. Die Technische Richtlinie für die Bundeswasserbauverwaltung (RIWA-T) definiert den Begriff Restrisiko und differenziert dabei zwischen Restrisiko im Überlastfall (Hochwasserabflussbereiche geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, z.B. HQ300) und Restrisiko im Versagensfall (Versagen von Schutzbauten). Diese Restrisikobereiche werden bislang in den Raumordnungsgesetzen kaum berücksichtigt. Festzuhalten ist jedoch, dass in Oberösterreich lt. §21 Abs. 21a OÖ ROG auch ein Baulandwidmungsverbot für ehemals rote Zonen besteht. Oberösterreich ist damit das einzige Bundesland, welches auch Restrisikobereiche (im Versagensfall von Schutzbauwerken) in der Raumordnung vorsieht. Ein generelles Bauverbot für Restrisikobereiche bzw. Bereiche mit erhöhtem Risiko (z.B. Abflussflächen eines HQ300) wird im Allgemeinen als nicht in die Praxis umsetzbar erachtet. Vielmehr ist in Bereichen, in denen eine Baulandwidmung nicht vollkommen ausgeschlossen wird, eine risikoorientierte Raumplanung anzustreben.

Risikoreduktion durch Gebäudeschutzmaßnahmen

Der Begriff Risiko wird in dieser Arbeit als Produkt der Eintrittswahrscheinlichkeit eines Naturgefahrenereignisses und der potenziellen Schadenshöhe verstanden (3). Wobei die potenzielle Schadenshöhe sowohl von der Anzahl der vorhandenen Risikoelemente abhängt, als auch von deren Vulnerabilität (4). Die gängigen Ansätze zur Berücksichtigung der Naturgefahren in den Raumplanungs- und Baugesetzen zielen vor allem auf die Beurteilung von Gefahrenereignissen ab. Bis zu einer bestimmten Intensität einer Gefährdung darf gebaut werden, ab einer definierten Grenze nicht mehr. Vor allem in jenen gefährdeten Bereichen, in denen eine Baulandwidmung nicht ausgeschlossen ist, wäre eine differenzierte Herangehensweise zielführend, die nicht nur das Gefahrenpotenzial in der Standortwahl berücksichtigt, sondern auch die Vulnerabilität durch zusätzliche Anpassungsmaßnahmen an die Gefahrensituation beeinflusst. Mittels Literaturstudie konnten folgende Möglichkeiten ausgemacht werden, Schutzmaßnahmen am Gebäude zu treffen, die das Risiko bei Gefährdung durch Hochwasser, Lawinen oder gravitative Naturgefahren reduzieren können. Grob zusammengefasst können Maßnahmen auf folgenden vier Ebenen getroffen werden:

  1. Geländegestaltung und Standortwahl am Grundstück z.B.: erhöhte Bauweise, Spaltkeil, Ablenkmauer, Ablenkdamm, Auffangmauer, Auffangdamm, Ebenhöh (siehe Abbildung)

  2. Maßnahmen zur Erhöhung der Standsicherheit z.B.: verstärkte Ausbildung von Bauteilen, auftriebssichere Bauweise

  3. Maßnahmen gegen das Eindringen von Wasser, Murmaterial oder Lawinen permanente und temporäre Maßnahmen, (z.B.: Dammbalkensysteme, Hochwassertore, wasserdichte Fenster)

  4. Nutzungsanpassung und Materialwahl B.: Wahl wasserunempfindlicher Materialien, Anordnung von nur untergeordneten Nebenräumen an der gefahrenzugewandten Gebäudeseite

Schutzbauwerke vor dem Gebäude bei Anprall von Muren oder Lawinen (nach 5).
Risikoorientierte Raumplanung

Durch eine Festlegung von Objektschutzmaßnahmen in Raumplanungsinstrumenten kann die jeweilige Nutzung an die Gefahrensituation angepasst und damit das Risiko auf ein angestrebtes Schutzziel reduzieren werden. Eine risikoorientierte Raumplanung unterscheidet nicht nur zwischen „bauen“ und „nicht bauen“ auf Basis der Intensität und Eintrittswahrscheinlichkeit eines Gefahrenereignisses, sondern reagiert auf die Gefährdung auch, in dem sie festlegt, wie gebaut werden soll. Zudem berücksichtigt eine risikoorientierte Raumplanung nicht nur Gefährdungen entsprechend den gelben und roten Gefahrenzonen – auch geringe Gefährdungen bzw. Restgefährdungen sollen bedacht werden, denn häufig besteht ein hohes Risiko genau in jenen Bereichen, wo zwar die Gefahr gering, aber die Nutzung sehr intensiv ist. Eine risikoorientierte Vorgehensweise, die die jeweilige Nutzung an die Gefahrensituation anpasst, erscheint vor allem in jenen gefährdeten Bereichen sinnvoll, in denen eine Baulandwidmung nicht ausgeschlossen ist. Im Zuge der Analyse der Raumordnungsgesetze der Bundesländer Niederösterreich, Oberösterreich, Tirol und Steiermark konnten folgende Bereiche ausfindig gemacht werden, in denen eine risikoorientierte Raumplanung durch die Vorschreibung gefahrenangepasster Bauweisen als sinnvoll erachtet werden kann:

  • Gelbe Gefahrenzonen bzw. Bereiche zwischen HQ30 und HQ100, wenn eine Bebauung dort raumordnungsrechtlich nicht ausgeschlossen ist
  • Siedlungsschwerpunkte, Baulücken im geschlossenen Ortsgebiet, standortgebundene Bauwerke und sonstige Bereiche in denen Ausnahmebestimmungen gelten
  • Gefahrenhinweisbereiche
  • Restrisikobereiche.

Aus der Analyse der aktuellen Gesetzeslage und der ExpertInnenbefragung auf Basis von qualitativen Interviews geht hervor, dass in den ausgewählten Bundesländern durchaus Handlungsspielraum existiert eine risikoorientierte Raumplanung mittels baulicher Anpassungsmaßnahmen in der Praxis umzusetzen – einzig in Niederösterreich bestehen kaum Möglichkeiten in der Bebauungsplanung naturgefahrenrelevante Festlegungen zu verankern.
In der Steiermark hingegen können gefährdete Bereiche zunächst als Aufschließungsgebiete gewidmet und Schutzmaßnahmen in den Aufschließungserfordernissen festgelegt werden.
In Tirol kann die Baulandwidmung in gefährdeten Bereichen generell an ein fachliches Gutachten geknüpft werden. Auch ein Sicherheitskonzept, das rein organisatorische Maßnahmen für den Ereignisfall festsetzt, kann als Grundlage für eine Baulandwidmung herangezogen werden. Auch textliche Ergänzungen zur Widmung sind in Tirol möglich, die die Sicherheit aus Sicht der Raumplanung erhöhen, dass die notwendigen Vorkehrungen in weiterer Folge im Bauverfahren umgesetzt werden.
In Oberösterreich ist es möglich, derartige Festlegungen durch das Ausweisen einer Schutzzone im Flächenwidmungsplan zu definieren. Mit diesen Instrumenten kann auch ein Bebauungsplan für den gefährdeten Bereich vorgeschrieben werden, in dem dann wiederum konkretere Schutzmaßnahmen festgelegt werden können. Im Flächenwidmungsplan kann immer nur die Art der Maßnahme festgelegt werden.
In Oberösterreich, Tirol und der Steiermark bestehen aber theoretisch ausreichend Möglichkeiten Schutzmaßnahmen am Gebäude im Bebauungsplan vorzusehen. Vor allem Inhalte wie beispielsweise die Anordnung der Gebäude am Grundstück, das Freihalten von Abflussgassen, das Vorsehen von Geländeveränderungen bzw. Ableitungsbauwerken, das Ausschließen von Nutzungen oder Gebäudeöffnungen an der gefahrenzugewandten Seite oder das Vorschreiben einer „hochwassergeschützten“ Bauweise wären in der Bebauungsplanung möglich.
In Niederösterreich hingegen sind gemäß § 30 Abs. 2 NÖ ROG Festlegungen von Objektschutzmaßnahmen gegen Naturgefahren in der Bebauungsplanung derzeit nicht möglich. Hier sehen die ExpertInnen großen Nachholbedarf, um das Instrument des Bebauungsplans auch für Festlegungen in Bezug auf Naturgefahren nutzen zu können.
Abbildung 2 zeigt die Vor- und Nachteile von Festlegungen von gefahrenangepassten Bauweisen im Bebauungsplan bzw. im Bauverfahren.

Vor- und Nachteile bei der Festlegung von gefahrenangepassten Bauweisen im Bebauungsplan bzw. im Bauverfahren
Abb. 2: Vor- und Nachteile bei der Festlegung von gefahrenangepassten Bauweisen im Bebauungsplan bzw. im Bauverfahren

Praktisch wird es immer beides brauchen, eine grobe Betrachtungsweise im Bebauungsplan und darüber hinaus detaillierte Problemlösungen im Bauverfahren. Grundsätzlich wäre es wünschenswert eine standardisierte Vorgehensweise zu haben, wie man gefahrenangepasste Bauweisen in gefährdeten Bereichen bereits in der Flächenwidmungsplanung festlegen kann, wobei der Bebauungsplan ein sehr sinnvolles Instrument darstellen könnte, um die beiden Zahnräder Widmungsverfahren und Bauverfahren bestmöglich abgestimmt ineinander greifen zu lassen.

Generell ist festzuhalten, dass in jenen Bereichen, in denen eine Baulandwidmung nicht ausgeschlossen ist, Festlegungen zur Gefahrenabwehr bereits im Flächenwidmungs- bzw. Bebauungsplan von den ExpertInnen als positiv eingeschätzt werden, da sie aus Sicht der Raumplanung die Sicherheit der Umsetzung der Maßnahmen erhöhen. Im Sinne einer risikoorientierten Raumplanung ist auch die differenzierte Vorgehensweise in Hinblick auf Bauführungen in gefährdeten Gebieten abhängig vom Gefährdungsgrad und dem geplanten Nutzungs- bzw. Bauwerktyp. Diese Differenzierung wird in Oberösterreich bereits im Zusammenhang mit den Gefahrenhinweiskarten für gravitative Massenbewegungen angewendet. Auch die rechtliche Möglichkeit Restrisikobereiche durch bauliche Auflagen berücksichtigen zu können, ist in Bezug auf eine risikoorientierte Raumplanung erstrebenswert. Restrisiko ist aktuell nur in Oberösterreich rechtlich verankert, und auch nur im Fall des Versagens von Schutzbauwerken. Um eine risikoorientierte Raumplanung zu forcieren wäre auch die Berücksichtigung des Hochwasserabflussbereiches HQ300 sinnvoll. Auch die Definition eines rechtlich verankerten Standards in Bezug auf naturgefahrengeschützte Bauweisen wäre notwendig, um entsprechend risikoorientierte Planungsentscheidungen treffen zu können.

Für eine Umsetzung einer risikoorientierten Raumplanung braucht es neben dem politischen Willen vor allem auch Maßnahmen zur Bewusstseins- und Weiterbildung der EntscheidungsträgerInnen sowie eine enge Zusammenarbeit zwischen RaumplanerInnen, NaturgefahrenexpertInnen, Bausachverständigen und den EigentümerInnen bzw. NutzerInnen.

Die gesamte Arbeit ist an der Universitätsbibliothek der Universität für Bodenkultur Wien einzusehen.

Literatur

[1] KANONIER, 2006, S. 151

[2] STOCK, 2013, S. 30

[3] CAMENZIND und LOAT, 2014, S. 2

[4] BIRKMANN et al. 2013, S. 213

[5] SUDA et al., 2012a, S. 275

[6] SUDA et al., 2012a, S. 265


BIRKMANN, J., BÖHM, H. R., BUCHHOLZ, R., BÜSCHER, D., DASCHKEIT, A., EBERT, S.,
FLEISCHHAUER, M., FROMMER, B., KÖHLER, S., KUFELD, W., LENZ, S., OVERBECK, G.,
SCHANZE, J., SCHLIPF, S., SOMMERFELDT, P., STOCK, M., VOLLMER, M. und
WALKENHORST, O. (2013): Glossar Klimawandel und Raumentwicklung. In: BIRKMANN
et al.(Hrsg.): Raumentwicklung im Klimawandel: Herausforderungen für die räumliche
Planung. ARL, Hannover, S. 191–228.

CAMENZIND, R. und LOAT, R. (2014): Risikobasierte Raumplanung – Synthesebericht
zu zwei Testplanungen auf Stufe kommunaler Nutzungsplanung. Nationale Plattform
Naturgefahren (Hrsg.), Bern.

KANONIER, A. (2006): Raumplanungsrechtliche Regelungen als Teil
des Naturgefahrenmanagements. In: S. FUCHS et al. (Hrsg.): Recht im
Naturgefahrenmanagement. Studien-Verlag, Innsbruck, Wien, Bozen, S. 123–153.

STOCK, M. (2013): Der Klimawandel: global und regional in Europa und Deutschland.
In: Raumentwicklung im Klimawandel: Herausforderungen für die räumliche Planung.
Akad. für Raumforschung und Landesplanung ARL, Hamburg, S. 14–43.

SUDA, J., HOLUB, M., JARITZ, W., HÜBL, J., ERTL-BALGA, U., RUDOLF-MIKLAU, F.,
STARL, H. und ZIMMERMANN, T. (2012 a): Entwurf von Gebäudeschutzmaßnahmen.
In: F. RUDOLF-MIKLAU und J. SUDA (Hrsg.): Bauen und Naturgefahren: Handbuch für
konstruktiven Gebäudeschutz. Springer, Wien, S. 249–311.