Die gebaute Umwelt bildet Lebensraum, Arbeitsumgebung und Grundlage unseres Gesellschaftslebens. Sie spiegelt die Wertvorstellungen einer Kultur wider und verleiht soziokulturelle Identität. Gebäude wirken auf die Umwelt und beeinflussen die Lebensqualität in vielfältiger Weise. Unter den Begriff der soziokulturellen Aspekte fallen sämtliche Faktoren, die Einfluss auf die soziokulturelle Identität des Menschen haben – vor allem soziale Bedürfnisse, Integration, Partizipation, räumliche Identität, kulturelle Wertvorstellungen und Gesundheit sind wesentliche Schlüsselfaktoren für eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft (2).
Menschen bewerten ihr direktes Umfeld – ob bewusst oder unbewusst – und spiegeln das Ergebnis in Wohlbefinden, Nutzerzufriedenheit und Motivation wider. Dabei sind soziokulturelle und funktionale Qualitäten von hoher Bedeutung.
Wesentliche Schutzziele für soziokulturelle Nachhaltigkeit sind:
Die soziokulturellen Aspekte der Nachhaltigkeit stellen sich besonders komplex dar und sind eng mit den ökologischen und ökonomischen Aspekten verwoben. Die Kriterien zur Bewertung sind oft nur schwer quantifizierbar und können nur qualitativ oder beschreibend beurteilt werden (2).
Aber auch in diesem vielschichtigen Themenkomplex hat die Nachhaltigkeit den Anspruch auf zukunftsfähige Gestaltung. Deshalb verlangt nachhaltiges Planen nicht nur die Berücksichtigung der derzeitig geltenden Wertvorstellungen, auch künftige Werte müssen berücksichtigt werden, um sicherzustellen, dass die Gestaltungsqualität des Gebäudes über die gesamte Lebenszeit gewährleistet ist (1). Ein hohes Maß an soziokultureller Nachhaltigkeit führt zur Wertschätzung des Gebäudes und steigert damit die Wertbeständigkeit.
Nachfolgend werden einzelne Aspekte der soziokulturellen Wirkungsweisen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – in ihren Grundzügen erläutert.
Funktionalität | Nutzer:innenakzeptanz
Funktionalität
Funktionalität wird anhand der Nutzungsanforderungen definiert und ist dann gegeben, wenn Entwurfskonzept, Funktions- und Raumzuordnungen, Detail- und Innenraumgestaltung, infrastrukturelle Zugänglichkeit und Ver- und Entsorgung den Nutzungsanforderungen über einen möglichst langen Zeitraum entsprechen (1).
Anpassungsfähigkeit
Auch zukünftige Nutzungsanforderungen sollen erfüllt werden, was eine flexible, nutzungsoffene Gestaltung im Sinne der Nachhaltigkeit erfordert. Die Anpassungsfähigkeit kann durch flexibel gestaltbare Grundrisse, strukturelle Flexibilität durch die Möglichkeit des Zusammenschaltens und Trennens von Nutzungseinheiten, vorausschauende Positionierung von Versorgungsleitungen, sowie eine funktionsneutrale Gestaltung der Räume forciert werden (1).
Zugänglichkeit
Die Akzeptanz von Gebäuden und die Integration in das gesellschaftliche Leben kann durch öffentliche Zugänglichkeit und ein vielfältiges Nutzungsangebot gefördert werden. Orte der Kommunikation und
Gemeinschaft steigern die Nutzerakzeptanz.
Identität
Die Identifizierung mit einem Gebäude steigt mit dem Grad der individuellen Einflussnahme. Angefangen bei simplen Dingen wie der Beeinflussbarkeit von Licht, Raumklima und Beschattung bis hin zu partizipativer Beteiligung am Planungsprozess – je mehr persönlichen Einfluss man nehmen kann, je höher der Grad der Selbstverwirklichung und Selbstdarstellung in einem Gebäude möglich ist, desto besser funktioniert die persönliche Aneignung des Raumes und die Identifizierung mit der gebauten Umwelt.
Barrierefreiheit
Wesentliche Planungsgrundsätze laut ÖNORM B 1600 sind dabei:
Während im Geschoßwohnbau und bei öffentlichen Gebäuden barrierefreies Bauen bereits Standard ist, so gibt es im privaten Wohnbausektor noch Aufholbedarf. Zwar muss nicht jedes Gebäude potenziell von einer beeinträchtigten Person bewohnt werden können, dennoch zählt es auch zu den sozialen Aspekten der Nachhaltigkeit, dass diese Personen am sozialen Leben anderer teilhaben und sich somit zumindest als Gast bei Freund:innen wohlfühlen können sollen.
Gestaltungsqualität | Kulturlandschaft als erholungsraum
Qualitäten, wie die ästhetische Gestaltung und das Landschaftsbild, beruhen zu einem erheblichen Teil auf subjektiven Wirkungen und Empfindungen wie der Ortsspezifik, einer zeitgemäßen, einheitlichen Gestaltungsidee oder der Materialästhetik und –qualität. Es handelt sich um Faktoren die nur schwer objektiv quantifizierbar sind.
Zwar ist die Verbesserung des Orts- und Landschaftsbilds in diversen Gesetzen verankert, so beispielsweise als generelles Leitziel des NÖ Raumordnungsgesetzes, konkret auch bei der Festlegung der Wohndichteklassen und der Widmungskategorien, aber auch als Kriterium zur Definition der Erhaltenswerten Gebäude im Grünland, …
»… die das Orts- und/oder Landschaftsbild nicht wesentlich beeinträchtigen bzw. der Bautradition des Umlandes entsprechen.« [NÖ ROG, 2015, §20, Abs. 4]
Doch eine Beurteilung dieser subjektiven Kriterien ist überwiegend nur im bewertenden Vergleich durch Fachexpert:innen möglich. Fachgremien und die Evaluierung der Nutzer:innenzufriedenheit ermöglichen auch die »weichen« Aspekte wie Ästhetik und Landschaftsbild zu charakterisieren.
Auch Kunst am Bau, als ein Element der Baukultur, wird im Rahmen der gesellschaftswirksamen Aspekte der Nachhaltigkeit forciert und soll die Ausdruckskraft und Identität des Gebäudes fördern (1).
Wohlbefinden | Gesundheit
Laut WHO [WHO, 2013] verbringen Menschen in Europa etwa 90 % ihrer Lebenszeit in Innenräumen. Zwei Drittel dieser Zeit im eigenen Zuhause. Aus diesem Grund sind Komfort und die Luftqualität im Innenraum von besonderer Bedeutung für den Menschen.
Raumluft
Hohe Raumluftqualität ist sicherzustellen durch ausreichende Luftwechselraten, ein geeignetes Lüftungskonzept und angemessenes Nutzer:innenverhalten (2). Darüber hinaus ist bei der Materialwahl darauf zu achten, überwiegend natürliche Baustoffe zu verwenden, um die Schadstoffbelastung im Innenraum möglichst gering zu halten. Die häufigsten materialbedingten Schadstoffe und deren Vorkommen sind in nachfolgender Tabelle dargestellt. Darüber hinaus gehören auch Schimmelpilze, Ozon und Elektrosmog zu den vielfach vorkommenden Schadstoffbelastungen in der Raumluft.
Raumklimatische Verhältnisse betreffen thermische Behaglichkeit, Feuchteregulierung, abgestimmten Fensterflächenanteil, die Wärmespeicherfähigkeit von Bauteilen, Sonnenschutz und die Möglichkeit zur Nachtkühlung. Vorrangig sollen passive Maßnahmen optimiert werden, bevor aktive Maßnahmen zur Regulierung des Raumklimas gesetzt werden.
Thermische Behaglichkeit ist im Wesentlichen abhängig von der Lufttemperatur und der Oberflächentemperatur der angrenzenden Bauteile. Je geringer der Temperaturunterschied zwischen Bauteil- und Lufttemperatur, desto angenehmer wird das Raumklima empfunden. Optimal temperierte Oberflächen erreicht man durch Strahlungsheizungen wie Kachelöfen, Fußboden-, Wand-, oder Deckenheizungen. Diese erwärmen den Bauteil und geben die Wärme langsam, über Stunden verteilt an die Raumluft ab.
Konvektionsheizungssysteme wie Radiatoren und Heizkörper erwärmen im Gegensatz dazu die Luft. Die Wärmeübertragung erflogt durch Luftströmung. Durch die Umwälzung der Raumluft mit Staub- und Schadstoffen kann es bei Reibung an Kunststoffböden oder Kunststoffoberflächen im Raum zu elektrostatischer Aufladung kommen. Diese geladenen Großmoleküle reagieren besonders aggressiv auf den Schleimhäuten. Auch Staubpartikel und Schadstoffe, die an heißen Radiatoren verschwelen, erzeugen gesundheitsschädigende Dämpfe, die die Schleimhäute reizen und zu allergischen Reaktionen führen können (4).
Lärm ist Schall der stört. Dieser kann das Wohlbefinden und die Gesundheit beeinträchtigen. Aus diesem Grund sind raumakustische Vorkehrungen zu treffen, um Lärmbelästigung zwischen Nutzungseinheiten, Lärmimmissionen aufgrund technischer Anlagen und ungünstige Raumakustik zu vermeiden (2).
Durch eine schallschutzoptimierte Planung der Bauteilaufbauten kann die Schallübertragung zwischen Trennwänden und Wohnungsdecken – sowohl für Luftschall, als auch für Trittschall – gering gehalten werden. Richtwerte für die Anforderungen an den Schallschutz einzelner Bauteile können aus der OIB-Richtlinie 5: Schallschutz entnommen werden.
Auch in der Grundrisskonzeption kann auf schalltechnisch günstige Gestaltung geachtet werden, indem man etwa vermeidet, dass Schlafräume direkt an laute Räume wie beispielsweise Stiegenhäuser, Aufzüge, Heizräume oder an Sanitärinstallationen führende Wände angrenzen. Durch das Vorschalten eines Vorraums zwischen Wohnungseingangstür und Wohnraum wird auch zusätzlich ein Schallpuffer geschaffen. Grenzen zwei Wohnungen aneinander, so ist es vorteilhaft, wenn die aneinandergrenzenden Räume die gleiche Nutzung aufweisen. Dies gilt auch für vertikal übereinander liegende Wohnungen (3).
Darüber hinaus sollen akustisch harte Materialien wie Beton, Glas und glatte Kunststoffe im Innenraum nur mit Bedacht eingesetzt werden, bzw. durch schallabsorbierende Materialen ergänzt werden, um die Länge der Nachhallzeit des Schalls zu reduzieren, die als unangenehm und ablenkend empfunden wird.
Licht
Die optimale Belichtung mit Tageslicht ist durch die Ausrichtung des Gebäudes, Fensterflächenanteil, Raumtiefe, Blendschutz, die Gestaltung von Reflexionsflächen und die Farbgebung der Bauteile zu gestalten (2): Die Beleuchtung mit Tageslicht ist der künstlichen Beleuchtung vorzuziehen, da sie weniger zusätzlichen Energieeinsatz erfordert und im Allgemeinen als angenehmer empfunden wird (1).
Elektrosmog
Der Begriff Elektrosmog steht für sämtliche hoch- oder niederfrequente Wellen, die durch Mobilfunksender, Rundfunkmasten, Hochspannungsleitungen, elektrifizierte Bahnanlagen, Satelliten oder Radaranlagen in die Umwelt emittiert werden. Es wird vermutet, dass die elektromagnetischen Wellen im Körper eine Stressreaktion verursachen, die von manchen Menschen intensiver wahrgenommen wird als von anderen. Dies kann sich beispielsweise durch Kopfschmerzen oder Schlafstörungen äußern. Ein eindeutiges Forschungsergebnis zur Langzeitwirkung von Elektrosmog gibt es jedoch noch nicht. Dennoch kann man aus planerischer Sicht zumindest versuchen die Strahlenbelastung gering zu halten, indem man die Verwendung von abgeschirmten Kabeln und eine Netzfreischaltung im Schlafraum vorsieht (4).
Freiraum
Private Aufenthaltsbereiche im Freien fördern das allgemeine Wohlbefinden und die Nutzerakzeptanz. Durch den erweiterten persönlichen Gestaltungsfreiraum wirken private Freiflächen als Raum der Selbstverwirklichung und somit identitätsstiftend.
Sicherheit
Das Gefühl von Sicherheit trägt zur sozialen und wirtschaftlichen Stabilität bei und erhöht das Wohlbefinden. Durch gezielte Standortwahl können standortbedingte Gefahrenpotenziale wie Erdrutschungen oder Überschwemmungen vorab reduziert werden. Durch die Einhaltung von Baunormen und Brandschutzrichtlinien kann die Gefährdung durch Brand, Abstürzen oder Stolpern auf ein sicheres Niveau gebracht werden. Übersichtlichkeit, gute Beleuchtung und Sichtverbindungen erhöhen überdies das subjektive Sicherheitsbefinden (2).
(1) Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Hrsg. „Leitfaden Nachhaltiges Bauen“, 2011.
(2) Hegger, Manfred, Matthias Fuchs, Thomas Stark, und Martin Zeumer. Energie Atlas, Nachhaltige Architektur. Herausgegeben von Institut für internationale Architektur-Dokumentation GmbH & Co. KG. München, 2007. S. 190, 195
(3) Österreichische Gesellschaft für nachhaltiges Bauen. „TQB-Zertifikat.“ Zugegriffen 8. Juli 2015. https://www.oegnb.net/.
(4) Rühl, Beate. Gesund und ökologisch bauen: baubiologische Aspekte bei Neubau und Sanierung. Taunusstein: Blottner, 2010. S. 81, 111f
(5) Schnaufer, Dieter. „Baurechtliche Aspekte der Barrierefreiheit in Niederösterreich.“ 2014. S. 26